Auf der Suche nach dem Rezept des Lebens Understand article

Drei Schlüsselfaktoren machten die Entwicklung von Leben auf der Erde möglich – aber welcher kam zuerst? Neue Forschungsergebnisse könnten helfen diese Frage zu klären.

Halte einen Moment inne und denke über dich selbst nach: Denke an deine Augen, die diesen Text lesen, dein Gehirn, das die Informationen aufnimmt, und deinen Körper, der deine Organe enthält und sie mit Energie versorgt. Frage dich: Wie ist dieser komplexe, lebende biochemische Mechanismus entstanden? Das ist eine tiefgreifende Frage, die die Wissenschaft jahrzehntelang angetrieben hat. Charles Darwin hat sie mit seiner Evolutionstheorie teilweise beantwortet, indem er zeigte wie jede Art sich aus der vorhergehenden entwickelt hat.

Wenn wir die Geschichte der Evolution aber weit genug zurückverfolgen, kommen wir mit der Entstehung der ersten Zellen beim Ursprung des Lebens an. Die ersten Zellen enstanden vor ungefähr 4 Milliarden Jahren. Heute versucht die Wissenschaft das Rätsel zu lösen, wie genau es passiert ist. Aber nach so langer Zeit, ist das sehr schwierig.

Artwork depicting the formation of protocells in the early history of life on Earth
Illustration zur Entstehung von Protobionten in der Frühgeschichte des Lebens auf der Erde
Richard Bizley/Science Photo Library
 

Der Vergleich moderner Lebensformen auf der Erde liefert ein schlagkräftiges Argument wie Leben entstanden ist. Wir Menschen sind Bäumen, Insekten, Bakterien und allen anderen Lebensformen auf der Erde näher als es auf den ersten Blick scheint. Drei wichtige Punkte haben wir mit allem Leben gemeinsam: Erstens, nutzen alle Arten die gleichen Moleküle um genetische Informationen weiterzugeben: Ribonukleinsäure (RNS) und Desoxyribonukleinsäure (DNS). Zweitens, sind die Zellen unterschiedlicher Arten ziemlich ähnlich aufgebaut – sogar Einzeller teilen Merkmale mit den Zellen größerer Organismen. Und drittens, ist die Art und Weise, wie die Zellen durch Stoffwechsel an Energie für ihre biochemische Prozesse kommen, sehr ähnlich. Dieses Argument führt uns zu der Idee, dass drei Schlüsselfaktoren für die Entstehung von Leben auf der Erde notwendig waren: Nukleinsäure (RNS und/oder DNS); Eine Membran, Kammer oder irgendetwas, das die Bestandteile der Zelle enthält; Und Stoffwechsel.

Forscherinnen und Forscher liefern ständig neue Ideen wie das Leben auf der Erde entstanden ist, aber ein großer Diskussionspunkt hierbei ist die Frage, welcher der drei Schlüsselfaktoren zuerst kam. Vor kurzem kam jedoch eine neue Idee auf, die diese Diskussion beenden könnte: Könnten nicht alle drei Faktoren zur gleichen Zeit entstanden sein?

Erforschung der jungen Erde

Wir wissen schon eine Weile, dass organische Moleküle unter den Bedingungen, die auf der jungen Erde herrschten, produziert werden können. Ein Experiment von Stanley Miller und Harold Urey aus dem Jahre 1952 (Miller, 1953), liefert den wohl berühmtesten ersten Schritt, um die Entstehung von Leben auf der Erde besser zu verstehen. Die Forscher setzten einen Kolben gefüllt mit Wasser, Ammoniak, Methan und Wasserstoff elektrischen Entladungen aus. Hieraus entstanden einige organische Substanzen, unter anderem Aminosäuren. Dies konnte allerdings nicht alle Fragen zur Entstehung des Lebens klären, denn wichtige biologische Moleküle wie Nukleinsäuren fehlten noch.

Illustration of Miller and Urey’s 1952 experimental setup
Illustration des Experimentaufbaus von Miller und Urey im Jahre 1952
Nicola Graf
Water vapour: Wasserdampf;
Electrode: Elektrode;
Condenser: Kühler;
Cold water: Kaltes Wasser;
Cooled water containing organic compounds: Gekühltes Wasser mit organischen Stoffen;
Sample for chemical analysis: Probe zur chemischen Analyse

In den frühen 1980gern machten Tom Cech und Sidney Altman eine Entdeckung für die sie später den Nobelpreis erhielten: Sie fanden Enzyme bestehend aus RNS, sogenannte Ribozyme. RNS kann genetische Informationen speichern und Ribozyme können sie verarbeiten. So kam die Idee auf, dass RNS den anderen Faktoren des Lebens zuvorkam. Diese Idee ist unter dem Namen ‘Zuerst RNS‘ Hypothese bekannt.

John Sutherland arbeitet derzeit am Medizinischen Forschungsinstitut für Molekularbiologie in Cambridge (Medical Research Council, MRC, Laboratory of Mocular Biology) in Großbritannien. Anfänglich schienen seine Forschungsergebnisse, sowie viele andere, die ‘Zuerst RNS‘ Hypothese zu unterstützen. 2009 zeigte sein Team, dass Ribonukleotide sich unter Bedingungen wie sie auf der jungen Erde herrschten entwickeln konnten (Powner et al., 2009).

Sutherland und sein Team suchten dann nach einer besseren Art die Zuckerkomponenten der Ribonukleotide herzustellen. Die Forschung hatte gezeigt, dass sie aus Fomaldehyd hergestellt werden konnten, aber dieser Weg war “wirklich chaotisch und schwierig“, meinte Sutherland. Sein Team suchte nach einer Alternative mit Wasserstoffcyanid, Wasserstoffsulfid und ultraviolettem Licht. Zusätzlich zu den Ribosezuckern produzierten sie über 50 verschiedene Moleküle, inklusive einiger, die helfen konnten Aminosäuren herzustellen. Aminosäuren sind die Grundbausteine von Proteinen. Proteine wiederum sind sowohl für Struktur als auch Enzymmechanismen lebendiger Zellen verantwortlich. Zucker und Aminosäuren gemeinsam herzustellen ist ein wichtiger Fortschritt, denn heutige Zellen verstoffwechseln Zucker, um die Energie zu bekommen, die sie benötigen (Ritson & Sutherland, 2013).

2015 zeigte das MRC team, dass ihr chemisches System auch Fettmoleküle hervorbringen kann. Fettmoleküle bilden die äußeren Zellwände, die die Form der Zelle bestimmen (Patel et al., 2015). In diesem System findet man ferner stoffwechselähnliche Prozesse. „Es konsumiert kleinere Moleküle und formt größere Moleküle“, sagt Sutherland. „Dies weist darauf hin, das alle Schlüsselfaktoren des Lebens zur gleichen Zeit entstanden sein könnten.“

Hierauf aufbauend publizierten Sutherland und seine Forschungsgruppe 2019 eine Studie die darauf hinweist, dass auch RNS und DNS gleichzeitig enstanden sein könnten. Die ‚Zuerst RNS‘ Hypothese wird damit weiter in Frage gestellt (Xu et al., 2019).

Artwork showing an evolving protocell. Fatty acids (blue molecules with spherical heads) form an outer membrane
Illustration, die einen Protobionten in Entwicklung zeigt. Fettsäuren (blaue Moleküle mit kugelförmigen Köpfen) bilden die äußere Membranschicht.
Henning Dalhoff/Science Photo Library

Ursprungsorte

So wie Sutherland glaubt auch Frances Westall vom Zentrum für Molekulare Biophysik (Centre for Molecular Biophysics) in Orléans, Frankreich, dass die drei Schlüsselfaktoren des Lebens sich durch einen glücklichen Zufall gleichzeitig entwickelt haben. Sie ist der Meinung, dass die dafür verantwortlichen Reaktionen auf der Oberfläche von Mineralien stattgefunden haben. Ihre Teammitglieder aus der Chemie sprechen von einem Protobionten mit Stoffwechselmachinerie und RNS in kleinen Mineraltäschchen. Schließlich formten Fettmoleküle eine äußere Wand innerhalb des Täschchens und gaben den Zellen die Gestalt, die wir heute kennen. „Je nach Umgebung“, sagt Westall, „formten Ansammlungen von Fetten, Proteinen und RNS in löchrigen Mineralmatrizen eine Zelle mit Membran.“

Westall und andere suchen nach dem Ort, in dem das Leben entstanden ist. Hierfür erforschen sie Mineralhohlräume in Tiefseeschloten, die heiße basische Flüssigkeit auspucken. Ihr Team hat mögliche Beispiele in südafrikanischem Gestein gefunden (Westall et al., 2018). „Die Temperaturen in den Schloten ist mit über 300°C viel zu heiß um Proteine und andere notwendige Moleküle aufrechtzuerhalten. Aber die Temperatur des Meerwassers drum herum ist 2°C.“, sagt Westall. Der Temperaturunterschied führt zu einer Wasserströmung, die chemische Stoffe umherbewegt und so vielleicht auch Stoffwechsel antreibt. Westall erklärt, „Die Wände der Schloten sind voll mit reduzierten Mineralien, die oxidert werden können und hierbei die Energie für präbiotische Reaktionen liefern. Außerdem bieten sie Oberflächen, auf denen sich organische Substanzen in verschiedenen strukturellen Kombinationen und Formationen ansammeln können.“ Andere Forschungsgruppen haben ferner vorgeschlagen, dass sich in diesem Umfeld auch zelluläre Ionenpumpen, entwickelt haben könnten, also die Proteine, die den Fluss von Ionen durch die Zellmembran regulieren (Lane & Martin, 2012).

Evidence of Earth’s earliest life forms has been found in hydrothermal vents
Hinweise auf die ersten Lebensformen der Erde wurden in hydrothermalen Schloten gefunden.
NOAA/Wikimedia Commons, Public Domain Bild
 

Die Suche nach Orten mit den passenden chemischen Voraussetzungen und den nötigen Energiequellen, um Stoffwechselprozesse anzutreiben und Zellbildung möglich zu machen, führt uns jedoch noch an andere Stellen, zum Beispiel vulkanische Küstengebiete, im Ozean schwimmende Flöße aus Bimsstein und Geysire. Zwar etwas spekulativer, aber Meteoriten gehören auch auf die Liste: Der 24km breite Rieskrater in Süddeutschland ist durch einen Meteoriteneinschlag vor etwa 14.6 Millionen Jahren entstanden. 2014 wurden festgestellt, dass er mikroskopisch kleine Röhrchenstrukturen enhält, die auf biologische Aktivität hinweisen (Sapers et al., 2014). Die Röhrchen ähneln fossilen Spuren von Mikroben in vulkanischem Glas. Sie weisen darauf hin, dass Wasser innerhalb des Gesteins die Ansiedlung von Mikroben möglich gemacht haben könnte. Einige Forschungsgruppen schlugen deshalb vor, dass ähnliche Röhrchen aus Milliarden von Jahren älteren Meteoriteneinschlägen einen Lebensraum für die frühesten Lebensformen boten.

Ungewöhnliche Forschung

Westall vergleicht die Mischung aller Zutaten, die für die Enstehung von Leben notwendig sind, mit der Entwicklung eines Kochrezepts. „Um den perfekten Kuchen zu bekommen, braucht man genau die richtige Menge der richtigen Zutaten sowie die richtige Backzeit und Temperatur“, sagt sie. „Auf der anderen Seite, wenn einem nach Experimentieren zu Mute ist, ändert man die Zutaten, Mengen, Temperaturen, und schaut, was herauskommt.“

Die Idee, dass alle drei Schlüsselfaktoren des Lebens gleichzeitig entstanden sind, schreit nach letzterem Ansatz, meint Wetall. Für die Wissenschaft ist das eine ungewöhnliche Vorgehensweise. „Um ein realistisches Szenario zu schaffen, müssen wir alle Zutaten in unkontrollierbaren Bedingungen zusammenzuwerfen und den Dingen seinen Lauf zu lassen. Das ist für Chemikerinnen und Chemiker eine furchteinflössende Vorstellung“, sagt sie. „Wenn etwas interessantes passiert, ist es schwieriger im Nachinein herauszufinden, was und warum. Aber zu diesem Zeitpunkt ist es der beste Weg, die Entstehung des Lebens zu verstehen.“


References

Resources

Author(s)

Andy Extance ist Wissenschaftsjournalist aus Exeter, Großbritannien. Seine Artikel beschäftigen sich mit allen Themen rund um Chemie, von unserer Umwelt bis hin zum Weltraum, von Nahrung bis hin zu Kernfusion, und von Solarzellen bis zur Frage, wie unser Riechsinn funktioniert.

Review

In fast allen Schulbücher wird im Abschnitt zur Entstehung des Lebens nur auf das berühmte Experiment von Stanley Miller und Harold Urey aus dem Jahre 1952 verwiesen. Seitdem wurden weitere Experimente gemacht und die Frage nach der Entstehung des Lebens beschäftigt die Wissenschaft mehr denn je.

Dieser Artikel beschäftig sich mit verschiedenen Theorien zu Entstehung des Lebens und kann vielseitig verwendet werden – sowohl als Beispiel wie Wissenschaft sich auf der Grundlage fundamentaler Fragestellungen weiterentwickelt als auch zur Erkundung von Theorien zu biologischem Leben an sich. Er ist eine Reise durch Raum und Zeit und durch die Welt großer Forschungsfragen.

Vorschläge für Verständnisfragen:

  • Wann, glaubt man, ist das Leben auf der Erde enstanden?
  • Welche drei Faktoren werden als Grundlage für die Enstehung des Lebens angenommen?

Panagiotis K Stasinakis, Biologielehrer und Direktor des Ampelokipoi Forschungzentrums für Naturwissenschaften (Ampelokipoi Laboratory Centre for Natural Sciences, EKFE), Griechenland

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