Infektiöse Tumoren Understand article

Übersetzt von Korinna Kochinke. Ist es möglich, Krebs von einem Individuum auf ein anderes zu übertragen? Für einige Tiere ja – und eine einzigartige tasmanische Tierart scheint bedauerlicherweise dadurch ihrer Ausrottung entgegenzugehen.

Es wäre nicht verkehrt zu behaupten, dass ihre Sympathie für den Teufel Dr. Elizabeth Murchison dazu veranlasst hat, diesen zu studieren – nicht für Satan, aber für die ungestümen kleinen Beuteltiere namens Tasmanischer Teufel oder Beutelteufel (Sarcophilus harrisii).

Gesunder Tasmanischer
Beutelteufel in seinem
natürlichen Habitat

Mit freundlicher Genehmigung
von JJ Harrison ; Bildquelle:
Wikimedia Coomons

Diese nur noch in Tasmanien vertretene Tierart wird durch eine Krebsart, die sich, groteskerweise, durch direkte Übertragung von einem Individuum zum anderen ausbreitet, bedroht: mit anderen Worten: durch einen infektiösen Tumor. Diese ‘Devil Facial Tumour Disease’ (Teufelsgesichtstumorkrankheit, DFTD) verursacht große Tumoren im Gesicht und im Mund infizierter Tiere und hat sich sehr schnell in der Population der Beutelteufel ausgebreitet. Der Krebs scheint sowohl nicht heilbar als auch immer tödlich zu sein.

In Evolution verbissen

Dr. Murchisons Forschung an der Cambridge-Universität in England widmet sich den genetischen Aspekten von DFTD und anderen infektiösen Tumoren. Auf den ersten Blick scheinen diese seltenen Krankheiten unser Verständnis von Krebs komplett auf den Kopf zu stellen. Normalerweise werden Tumore von körpereigenen Zellen ausgelöst, die mutiert sind und dadurch die Fähigkeit erlangt haben, sich unkontrolliert zu teilen und zu wachsen. Aber bei infektiösen Tumoren stammen die Tumorzellen nicht von dem betroffenen Individuum selbst, sondern von dem Individuum, bei dem die Krankheit zum ersten Mal ausbrach. Also vom ursprünglichen Tumor, der die Fähigkeit erlangt hat, von Wirt zu Wirt zu springen. Die Krankheit wird von Zellen verbreitet, die selbst von dem ersten Tumor abstammen und sich an neue Wirte heften und dort neue Zellen produzieren, so dass diese wiederum andere Individuen befallen können.

Ein spezifischer Aspekt im Verhalten des tasmanischen Beutelteufels begünstigt die Übertragung von DFTD von Tier zu Tier erheblich: ihre Vorliebe, andere Tiere, auch ihre Nächsten, zu beißen. Dies geschieht nicht nur wenn sie kämpfen oder sich um Futter balgen, sondern auch während der Paarung und sozialen Interaktionen. Da ihr Beißverhalten die Beutelteufel einer fatalen Krankheit aussetzt, könnte dies einen starken evolutiven Druck gegen das Beißen provozieren und damit weniger aggressive Individuen begünstigen. Jedoch selbst wenn die Teufel zu possierlicheren Charakteren evolvieren würden, würde des nicht zwangsweise die Wirkung der Krankheit reduzieren. In diesem Falle, so Frau Dr. Murchison, würde der Tumor sich ebenfalls ändern, so dass er auf andere Weise übertragen werden könnte. „Diese beiden Dinge ko-evolvieren zur gleichen Zeit; wenn der Beutelteufel sich ändert, ändert sich auch der Tumor,“ sagt Dr. Murchison.

Ultimative Tumore

„Tumore sind ein Produkt natürlicher Selektion auf dem Level einer einzelnen Zelle inmitten eines Organismus“, erklärt Dr. Murchison. „Der einzige Unterschied zu infektiösen Tumoren ist der, dass diese es geschafft haben, ihren Wirt zu verlassen.“ Normale Tumore sind eine evolutive Einbahnstraße, da sie mit ihrem Wirt sterben. Sie erklärt weiter: „Infektiöse Tumore hingegen sind ultimative Tumore, da sie dazu evolviert sind, ihre Wirte zu überleben. Sie setzen den evolutiven Prozess über den Tod des Wirtes, in dem sie entstanden sind, fort.“

Die Fähigkeit zur Evolution von normalen Tumoren zeigt sich zum Beispiel in der Art, wie Krebsgeschwulste Resistenzen gegen Chemotherapien entwickeln. „Wenn man eine Zellpopulation mit etwas bombardiert, was 99% dieser Population tötet aber ein Prozent überleben lässt, dann wird dieses eine Prozent wieder nachwachsen,“ sagt Dr. Murchison. „Die Behandlung von Krebspatienten stellt nichts anderes als selektiver Stress für den Tumor dar.“

Obgleich Tumore ständig evolvieren kennen wir neben DFTD nur eine weitere Krebsart, die es geschafft hat, infektiös zu werden.

Das Sticker-Sarkom (engl. Canine transmissible venereal tumour, CTVT) ist eine Krebsart, die Hunde weltweit betrifft. Glücklicherweise ist CTVT oftmals heilbar und normalerweise nicht tödlich. Diese Krankheit ist seit mehr als 150 Jahren bekannt, aber man geht davon aus, dass sie sich wesentlich früher entwickelt hat. „Wir sind überzeugt, dass dieser Krebs vor rund 11000 Jahren seinen Ursprung nahm, ungefähr dann, als Hunde zum ersten Mal vom Menschen domestiziert worden sind,“ erklärt Dr. Murchison. Daraus folgt, dass die Tumore, von denen Hunde heute infiziert werden, von derselben Zelllinie abstammen wie der ursprüngliche, historische Tumor – was sie zu den ältesten bekannten, lebenden Säugetierzellen der Erde macht.

Verstecken vor dem Immunsystems

Ist es allein ein glücklicher Umstand, dass so wenige infektiöse Krebsarten existieren, oder gibt es fundamentale Gründe, warum so wenige Tumore den Schritt zur Ansteckung schaffen? Schließlich können Krebszellen im Labor wachsen, warum also vollziehen so wenige den Sprung um in anderen Individuen zu wachsen?

Lage von Tasmanien
(dunkelorange) in Australien

Public Domain Bild ; Bildquelle:
Wikimedia Commons

Eine offensichtliche Schwierigkeit besteht darin, dass infektiöse Krebsarten einen Weg finden müssen, die Abwehr durch das Immunsystem des neu zu infizierenden Wirtes zu umgehen, da sie ja von einem anderen Individuum abstammen. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass DFTD-Tumore ein bestimmtes Protein nicht mehr produzieren, welches dem Immunsystem signalisiert, welche Zellen fremde Invasoren sind. Ohne dieses Molekül gelingt es dem DFTD-Tumor in einen Tierkörper einzudringen und dabei der Entdeckung durch das Immunsystem des neuen Wirtes zu entgehen.

Aber, so Dr. Murchison, viele Forscher glauben nun, dass auch normale Krebsarten sich bis zu einem gewissen Grad vor dem Immunsystem verstecken können. Sie konkretisiert: „Das Immunsystem hat Mechanismen, um Krebszellen zu erkennen. Vielleicht ist es damit beschäftigt, uns dauernd vor tausenden von beginnenden Tumoren zu beschützen, so dass diejenigen Tumore, die wir schließlich entwickeln, bereits eine Anpassung zur Umgehung des Immunsystems durchgemacht haben.“

Erschreckenderweise gibt es einige Fälle bei Menschen, in denen Krebsarten von einer Person zur anderen übertragen worden sind. Die meisten dieser Fälle betrafen Transplantationspatienten, bei denen undiagnostizierte Tumore im Spenderorgan zu Krebs im Empfänger geführt hat. Aber es gibt auch einen Fall, in dem sich ein Chirurg mit dem Tumor eines Patienten ‚angesteckt’ hat, nachdem er sich selbst während der Operation verletzt hattew1.

Könnte es also sein, dass wir eines Tages die Zeitung aufschlagen und Artikel über neu entdeckte infektiöse Krebsarten im Menschen finden? Wahrscheinlich nicht, sagt Dr. Murchison. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich infektiöse Krebsarten für Menschen entwickeln, da es so selten in der Natur passiert – wir kennen allein zwei Beispiele.“ Aber falls es jemals passieren sollte wird uns die Arbeit von Dr. Murchison dabei helfen, einzuschätzen, was wir zu erwarten haben; und vielleicht sogar einen Ansatzpunkt liefern, um wirkungsvolle Heilmethoden zu entwickeln.

In der nächsten Ausgabe von Science in School wird Dr. Murchison die neuesten Erkenntnisse zur Genetik von infektiösen Tumoren erklären.


Web References

  • w1 – Lies diesen Artikel wenn Du mehr über potenzielle Übertragungung von Krebs zwischen Menschen wissen möchtest.

Resources

  • Weitere Informationen über die Teufelsgesichtstumorkrankheit (Devil Facial Tumour Disease (DFTD)) und die Bemühungen, die Beutelteufel zu retten, gibt es hier.
  • Schaut Euch einen kurzen Vortrag von Dr. Elizabeth Murchison an, in dem sie ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit erklärt (auf englisch).
  • Weiterer Artikel über infektiöse Tumoren:
    • Giles C (2010) Sympathy for the devil. Wellcome News 62: 8–9
    • Diese Ausgabe von Wellcome News kann von der Wellcome Trust website heruntergeladen werden.

Author(s)

Susan Watt ist freischaffende Wissenschaftsjournalistin und Editorin. Sie studierte Naturwissenschaften an der Universität in Cambridge, England, und hat mehrere Jahre für unterschiedliche Herausgeber und Forschungsräte in England gearbeitet. Ihr besonderes Interesse gilt der Psychologie und wissenschaftlicher Ausbildung.

Review

Dieser Artikel ist der erste von zwei mit dem Fokus auf infektiösen Tumoren im Tierreich. Trotz, oder wegen, ihrer Seltenheit bieten infektiöse Tumore einen einzigartigen Kontext, um die Natur von malignen Tumoren und die selektive Überprüfung von Evolution zu diskutieren. Die Diskussion kann durch ein bibliographisches Review, eine wissenschaftliche Untersuchung oder ein Projekt zur Wissenschaftskommunikation (z.B. anhand von Postern oder Diavortrag) angeregt werden. Kernpunkte könnten sein: die Unterschiede zwischen normalen und infektiösen Tumoren, der ‚blinde’ Druck zum Überleben in der Natur oder die parallele Evolution. Evolution wirkt nicht nur auf dem Level von Populationen, sondern auch auf dem Level von Molekülen und Zellen.

Dieser Artikel könnte auch als Anregung für Biologielehrer/innen dienen, ihre professionelle Entwicklung weiter in Richtung Genetik, Zellbiologie oder Evolution voranzutreiben.

Luis M. Aires, Antonio Gedeao Secondary School, Portugal

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