Vom Modellorganismus zum medizinischen Fortschritt Understand article

Übersetzt von Dorothea Zähner. Ein einfacher – einst zum Bierbrauen verwendeter – Pilz wird heutzutage weltweit in der Krebsforschung eingesetzt.

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von iStock

Jedes Jahr erkranken weltweit Millionen von Menschen an Krebs. Aufgrund stetiger Bemühungen in der Krebsforschung und der ihr zugrunde liegenden Zellbiologie verbessern sich die Behandlungsmöglichkeiten und die Überlebenschancen von Betroffenen ständig. Es mag überraschen, dass dabei ein Hefepilz,Schizosaccharomyces pombe, ein wichtiges Werkzeug für die Forscher ist. Dieser gut untersuchte Modellorganismus (siehe Kasten) hat bahnbrechende, ja sogar Nobelpreis gewinnende Entdeckungen ermöglicht und für über 50 Jahre Erkenntnisse darüber geliefert, wie gesunde Zellen und Krebszellen wachsen und sich teilen.

Krebs ist das menschliche Äquivalent zu Unkraut – ungewolltes außer Kontrolle geratenes Zellwachstum und Zellwachstum am falschen Ort. Häufig ist Krebs die Folge einer Reihe von Veränderungen in der DNA einer Zelle, sogenannten Mutationen, die sich im Laufe der Zeit anhäufen. Diese Mutationen können dazu führen, dass Zellen zu schnell wachsen, sich zu oft teilen und schließlich Tumore bilden, die in umliegendes Gewebe und Organe eindringen und dabei Schaden anrichten können. Um verstehen zu können, wie diese Mutationen zu Krebs führen, muss zunächst geklärt werden, wie Zellen unter normalen Bedingungen funktionieren.

 

Modellorganismen

Viele grundlegende Lebensprozesse, insbesondere auf der Zellebene, verlaufen bei allen Lebewesen fast gleich. Dies bedeutet, dass Wissenschaftler Lebewesen wie die Fruchtfliege, den Zebrafisch, die Maus oder sogar eine Hefe verwenden können, um Grundprinzipien des Zellwachstums und der Zellentwicklung zu untersuchen. Dieses Wissen kann dann verwendet werden, um Vorgänge beim Menschen besser zu verstehen. Bestimmte Arten haben sich für die Forschung als besonders geeignet erwiesen und wurden dadurch zu Modellorganismen.

Sie sind meist klein, robust, einfach zu handhaben und haben eine kurze Lebensdauer. Die Hefe S. pombe ist aus folgenden Gründen als Modellorganismus besonders geeignet:

  • Sie wächst als Einzelzelle und hat nur etwa 5.000 Gene (im Vergleich zu den 20.000 Genen einer menschlichen Zelle).
  • Ihr Genom lässt sich einfach manipulieren – Gene lassen sich hinzufügen, verändern oder entfernen. Sie können auch mit Fluoreszenzmarkern versehen werden, wodurch die markierten Proteine mit Spezialmikroskopen sichtbar gemacht werden können.
  • Ihr Genom ist normalerweise haploid (d. h. jede Zelle hat nur einen Chromosomensatz), was dazu führt, dass sich genetische Veränderungen im Erscheinungsbild der Zelle ausdrücken. Im Gegensatz dazu hat eine diploide Zelle zwei Chromosomensätze, wodurch die zweite, unveränderte Genkopie die Auswirkung der Veränderung auf die Genfunktion verschleiern kann.
  • Ihr Zellzyklus folgt einem einfachen Schema und unter dem Mikroskop lässt sich leicht beurteilen, in welcher Phase des Zellzyklus sich eine Zelle gerade befindet.
  • Sie hat viele Gene, zu denen es homologe (entsprechende) Gene in menschlichen Zellen gibt.
  • Ihre Zellen wachsen schnell, sie ist billig, lässt sich einfach anziehen und sie kann bei -80 °C für viele Jahre gelagert werden.

 

Menschliche Zellen sind für die Erforschung des Zellzyklus nicht gut geeignet, da das menschliche Genom ungefähr 20.000 Gene enthält und viele von ihnen mehrere Funktionen haben. Zudem ist es kompliziert, gezielte Veränderungen an menschlichen Zellen und ihrer DNA im Labor zu erzeugen, was das Erforschen der Funktion eines bestimmten Gens erschwert. Die Hefe S. pombe bietet hier eine Alternative. Dieser einzellige Organismus, auch bekannt unter der Bezeichnung „Spalthefe“, ist nur 4 μm breit, 14 μm lang und hat nur ungefähr 5.000 Gene.

S. pombe wurde zum ersten Mal 1893 von dem deutschen Wissenschaftler Paul Lindner beschrieben. Er entdeckte sie in ostafrikanischem Hirsebier und benannte sie daraufhin nach dem Wort für Bier in Suaheli: „pombe“. In den 1950er-Jahren begannen Wissenschaftler damit, die Genetik und den Zellzyklus von S. pombe zu untersuchen. Aus mehreren Gründen eignet sie sich besonders gut für Forschungszwecke: Sie lässt sich leicht anziehen und verursacht keine Krankheiten; ihre Zellen sind groß genug, um sie unter dem Mikroskop zu sehen; sie verfügt nur über drei Chromosomen und sie teilt sich alle 2 bis 4 Stunden (siehe Kasten).

Einer der Hauptvorteile von S. pombe als Modellorganismus ist die Einfachheit, mit dem sich ihr Genom verändern lässt – z. B. Gene gezielt vollständig zu entfernen oder zusätzliche DNA hinzuzufügen.

Diese genetisch veränderten Zellen lassen sich dann anzüchten und aus dem resultierenden Phänotyp (dem Erscheinungsbild der Zellen) können Rückschlüsse auf die Funktion des veränderten Gens gezogen werden. Zudem sind S. pombe-Zellen haploid, d.h. dass es von jedem Gen nur eine Kopie gibt. Dies erleichtert es, die Funktion eines Gens zu erkennen. Bei diploiden Zellen, die über jeweils zwei Kopien jedes Gens verfügen, muss sehr genau darauf geachtet werden, dass beide Genkopien verändert wurden, da sonst der Phänotyp in Bezug auf die Genfunktion nicht aussagekräftig ist. Dieses Problem stellt sich bei den haploidenS. pombe-Zellen nicht.

Darüber hinaus hat S. pombe einen gut untersuchten Zellzyklus und eine gleichmäßige Stäbchenform, was beides ideal für Zellwachstums- und Zellteilungsstudien ist. Die Zellen behalten beim Wachstum ihre Stäbchenform bei und verlängern sich, bis sie eine ganz bestimmte Zelllänge erreicht haben. Die DNA verdoppelt sich und jeweils eine Kopie des Genoms wandert in eine der beiden Zellhälften. Daraufhin bildet sich in der Zellmitte eine Zellwand (Septum), die die beiden Zellhälften voneinander trennt. Das Septum lässt sich mit einem hell leuchtenden fluoreszierenden Farbstoff anfärben (siehe Abbildung 1). Dieser Zyklus, bei dem sich Zellen immer wieder in zwei Tochterzellen teilen, wiederholt sich so lange, wie dies die Wachstumsbedingungen zulassen (z. B. genügend Nährstoffe vorhanden sind).

Abbildung 1: Der Zellzyklus: a) Mikroskopische Aufnahme von S. pombe-Zellen, angefärbt mit Calcofluor, einem Fluoreszenzfarbstoff, der an die Hefezellwand bindet. Die Zellen verdoppeln ihre DNA und wachsen, bis sie eine kritische Länge erreicht haben. Daraufhin bildet sich eine Zellwand (Septum) und die Zelle teilt sich. b) Phasen des S. pombe Zellzyklus: G1 (gap Phase 1), S (DNA Verdopplung), G2 (gap Phase 2) und M (Mitose). Durch Messen der Zelllänge lässt sich abschätzen, in welcher Phase sich eine S. pombe-Zelle gerade befindet.
Mit freundlicher Genehmigung von Louise Weston

In den 1970-er Jahren begannen Paul Nurse und seine Kollegen mit der Isolierung und Charakterisierung von Zellzyklus-Mutanten in S. pombe. Diese Arbeiten führten im Laufe der Zeit zu Erkenntnissen, die so bedeutsam waren, dass ihnen 2001 dafür ein Nobelpreis verliehen wurde. Anfänglich suchten die Wissenschaftler nach genetischen Veränderungen, die zum Zelltod oder zu verlängerten Zellen führten, die die Fähigkeit sich zu teilen verloren hatten (Nurse et al., 1976). Abbildung 2b zeigt verlängerte Zellen, die sich nicht mehr teilen, nachdem das cdc-Gen gehemmt wurde (cdc steht für cell-division cycle [engl.] bzw. Zellteilungszyklus).

Abbildung 2: S. pombe-Zellen, die eine temperaturempfindliche Mutation im Gen cdc25 haben, wachsen ganz normal (a), außer, wenn sie bei einer ganz bestimmten Temperatur angezogen werden, bei der sie sich zwar noch verlängern, aber nicht mehr teilen können (b). Das Gen cdc25 kodiert für ein Protein, dass das Fortschreiten der Zellen im Zellzyklus steuert. Wird cdc25 gehemmt, führt dies dazu, dass die Zellen in der G2 Phase verharren (siehe Abbildung 1) und nicht in die Mitose und die Zellteilung eintreten können.
Mit freundlicher Genehmigung von Louise Weston

Der Nutzen von Modellorganismen zeigt sich, wenn die mit ihnen gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, ähnliche Prozesse beim Menschen zu verstehen. S. pombe besitzt viele Gene, die DNA-Schäden und deren Reparatur regulieren sowie wichtige Schaltstellen und den Zellzyklus steuern. Zu vielen dieser Gene gibt es entsprechende (homologe) Gene in menschlichen Zellen. Zum Beispiel fanden Nurse und seine Kollegen nach der Identifizierung des cdc2 Gens in S. pombe das entsprechende Gen cdk1 (kurz für cyclin dependent kinase 1 [engl.] bzw. Zyklin-abhängige Kinase 1) im Menschen (Lee & Nurse, 1987). Dieses Gen kodiert für ein Protein, das im Menschen die Zellteilung einleitet und reguliert. Ist dieses Gen verändert, kann es zu ungeplanten Zellteilungen sowie zur Verdoppelung oder auch Entfernung von Chromosomenabschnitten kommen, was wiederum zu Krebs führen kann. Es wird derzeit untersucht, ob die selektive Hemmung des CDK Proteins einen therapeutischen Nutzen bei der Behandlung menschlicher Krebserkrankungen hat. Die Möglichkeiten von S. pombe als Modellorganismus gehen jedoch weit über die Krebsforschung hinaus. Tatsächlich hat S. pombemindestens 50 Gene, deren menschliche Homologe mit einem breiten Spektrum von Krankheiten wie der Mukoviszidose, der angeborenen Gehörlosigkeit und der Zuckerkrankheit (Typ-2-Diabetes) in Verbindung stehen.

Aufbau des Innenlebens der
Spalthefe. Noch gibt es vieles
über das Innere dieses Pilzes
zu lernen.

Mit freundlicher Genehmigung
von Johanna Höög, EMBL

S. pombe ist von so großer Bedeutung für die Forschung, dass 2002 seine gesamte Genomsequenz veröffentlicht wurde. Es war erst das sechste Genom eines eukaryotischen Organismus, das vollständig sequenziert worden war. Auf der Grundlage dieser Genomsequenz wurden weitere wichtige Forschungsinstrumente entwickelt, um S. pombe noch besser untersuchen zu können. So wurde zum Beispiel eine Sammlung von 3.308 Stämmen von S. pombe angelegt, in der jedem Stamm eines der nicht zum Überleben notwendigen Gene fehlt. Darüber hinaus wurde jedes Protein mit einem grün fluoreszierenden Protein versehen (das unter ultraviolettem Licht grün aufleuchtet). Dies ermöglicht es, mit einem Fluoreszenzmikroskop die genaue Lokalisation des Proteins innerhalb der Zelle zu erkennen. Diese Forschungsinstrumente machen S. pombe zu einem noch besseren Modellorganismus für die Untersuchung von Genfunktionen (Yanagida, 2002).

Viele Details der Steuerung des Zellwachstums und der -teilung, insbesondere der ihnen übergeordneten Kontrollmechanismen, sind noch unbekannt. So manches lässt sich hierzu noch von diesem einfachen, einzelligen Organismus darüber lernen – von komplexen Zusammenhängen unserer normalen Entwicklung, die so wichtig für unsere Gesundheit sind, bis hin zur Entstehung von Krankheiten wie Krebs.


References

Resources

  • Weitere Informationen zu S. pombe und seiner Verwendung in der Forschung finden sie unter PombeNet, einer Informationsquelle des Forsburg Labors in Kalifornien.
  • Die Webseite der Krebsforschungseinrichtung Cancer Research UK bietet weitere, frei zugängliche Informationen zu verschiedenen Krebsarten und dem Stand der gegenwärtigen Forschung an.
  • Weitere Informationen darüber, wie genetische Veränderungen Krebs auslösen, finden Sie in:
  • Anregungen für eine Diskussion im Klassenzimmer über ethische Fragestellungen der Gendiagnostik und ihrer Möglichkeiten, Krankheiten einschließlich Krebs vorherzusagen, finden Sie in:

Author(s)

Louise Westen erhielt ihren Doktorgrad (DPhil) von der University of Oxford, UK, für ihre Arbeiten über die Zellwanderung menschlicher Krebszellen. Sie erforscht nun die Wachstumssteuerung bei S. pombe-Zellen als Postdoc an der Krebsforschungseinrichtung Cancer Research UK in London, England.

Review

Wir sind stets von Hefen und anderen Pilze umgeben, sie sind in uns und um uns herum. Schüler sollten während ihrer Schulzeit mit ihnen bekannt gemacht werden. Unterrichtsmaterialien weisen auf die Einhaltung von Sicherheitsempfehlungen für den Umgang mit Pilzen hin, machen jedoch häufig keine genaueren Angaben darüber, welche Vorgehensweisen zu beachten sind. Beginnend mit einer Behandlung der Rolle von Hefen und Pilzen in der Nahrungsmittelherstellung und -konservierung kann das Interesse der Schüler an diesem Thema geweckt werden. (Experimente mit Schimmelpilzen – selbst wenn diese sich in einer geschlossenen Petrischale befinden – sollten vermieden werden).

Die Verwendung eines unbedenklichen Hefestamms – z. B. zum Backen von Hefeteig, zur Vergärung von Nahrungsmitteln oder zum Bier- und Weinbrauen – in einer klar definierten Versuchsanordnung sollte jeden Biologielehrer dazu anregen, die Schüler in die Grundregeln guter Laborarbeit einzuführen und zu verdeutlichen, warum Versuchsanweisungen genau einzuhalten und die Durchführung zu dokumentieren ist, bevor daraus Schlussfolgerungen gezogen werden dürfen. Auf diesem Wege soll wissenschaftliches Arbeiten gelehrt werden, bevor den Schülern dieser Aufsatz als beispielhaft für einen wissenschaftlichen Bericht nahegebracht wird. Anhand der beschriebenen Sachverhalte können virtuell Versuche mit der Hefe als Modellorganismus geplant werden. Die am Ende des Beitrags aufgeführten Fragen regen weiterführende Forschungshypothesen und Diskussionen im Klassenzimmer an.

Friedlinde Krotscheck, Deutschland

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